Die Auferstehung des Lazarus

Johannes 11,43-44: „Und als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: „Lazarus, komm heraus!“ Und der Verstorbene kam heraus, an Händen und Füßen mit Grabtüchern umwickelt und sein Angesicht mit einem Schweißtuch umhüllt. Jesus spricht zu ihnen: Bindet ihn los und lasst ihn gehen!“

Als Jesus Christus, das ewige Wort, Wohlgefallen daran hatte, alles durch das Wort seiner Kraft 1Heb 1,3 zu erschaffen, waren seine letzten Werke die besten. Als er auf die ersten Produkte seiner allmächtigen Kraft zurückblickte und sie ansah, erklärte er sie für „gut“; aber als zuletzt der Mensch, dieses schöne Geschöpf, geformt wurde, erklärte er es für „sehr gut“. 21Mo 1,31 Und als derselbe Jesus, kam, um unter uns zu wohnen, 3Joh 1,14 und um eine neue und zweite Schöpfung zu beginnen und einzuführen, waren alle seine Werke Wunder zum Staunen und offenbarten die Herrlichkeit seiner ewigen Gottheit, und je näher er dem Ende seiner öffentlichen Ämter kam, um so größer und edler wurden die Wunder, die er wirkte. Die Auferstehung des Lazarus, die Gegenstand der folgenden Rede sein wird, ist meiner Meinung nach dafür ein hinreichender Beweis. Für das sinnliche Auge scheint es eines der größten, wenn nicht das allergrößte Wunder zu sein, das unser gesegneter Herr vollbracht hat. Als unser Erlöser den Jüngern des Johannes befiehlt, zu gehen und ihrem Meister zu erzählen, was sie gesehen und gehört haben, befiehlt er ihnen, diesem mitzuteilen, dass durch seine göttliche Macht „die Toten auferweckt werden;“ 4Mt 11,5 zweifellos eine Anspielung auf die Tochter des Vorstehers, die unmittelbar nach ihrem Tod auferweckt wurde; 5Lk 8,55 und den Sohn der Witwe, der auf Befehl Jesu aus seinem Sarg aufstand, als sie seinen Leichnam zur Beerdigung trugen. 6Lk 7,15 Das waren überzeugende Beweise dafür, dass Jesus tatsächlich der Messias war, der in die Welt kommen sollte. Aber seine Auferweckung des Lazarus von den Toten, nachdem dieser schon vier Tage lang tot gelegen und die Verwesung schon eingesetzt hatte, ist noch ein größeres Wunder; und folglich ein stärkerer Beweis dafür, dass er der Gesalbte, der Christus Gottes ist. Der Evangelist Johannes legt großen Wert darauf, uns von diesem Wunder zu berichten; sogar so besonders, dass in einem ganzen Kapitel die Umstände geschildert werden, die ihm vorausgingen, es begleiteten und ihm folgten. Und weil er hier zweifellos vom alles-wissenden, unfehlbaren Geist Gottes geleitet wurde, sollte uns das also nicht darauf hinweisen, dass dieses Wunder mit all seinen Umständen nach unserer ganz besonderen und ernsthaftesten Betrachtung ruft? In diesem Licht erscheint es mir; und deshalb werde ich, wenn es dem Herrn gefällt, mir dabei behilflich zu sein, zum Anfang dieses Kapitels zurückgehen, dem Evangelisten Schritt für Schritt folgen und die Einzelheiten dieses wunderbaren Wunders betrachten, im weiteren Verlauf einige praktische Beobachtungen machen und mit einigen geeigneten Anweisungen und Ermahnungen abschließen, die sich im Verlaufe des Diskurses logisch ergeben.

      Der Evangelist erwähnt im ersten Vers die Krankheit des Lazarus. „Es lag aber einer krank, Lazarus aus Bethanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Martha.“ Einige glauben, dass diese Schwestern sehr wohlhabend waren, so dass sie einen großen Teil der Stadt oder, wie das ursprüngliche Wort zu bedeuten scheint, des Dorfes besaßen. Aber dann ist es wahrscheinlicher, dass der Evangelist „die Stadt Lazarus” gesagt hätte, weil Grundstücke wie bei uns, normalerweise in männlicher Linie vererbt wurden: Es bedeutet also nicht mehr, als dass Martha und Maria in Bethanien lebten. Der Heilige Geist weist uns hiermit darauf hin, dass nichts eine Stadt der Hochachtung einer gnädigen Seele so würdig macht, wie die Tatsache, dass sie viele liebe Kinder Gottes zu ihren Bewohnern hat. Bethanien ist zwar nur ein kleiner Ort, aber weil es die Stadt von Martha und Maria war, ist es berühmter, als wenn Alexander dort eine seiner größten Schlachten geschlagen hätte. Beide Frauen liebten Jesus aufrichtig und waren ebenso gut wie großartig. Aber Maria, scheint die bedeutendere zu sein, obwohl sie die jüngere Schwester ist: Denn der Evangelist spricht auf ganz besondere Weise von ihr im zweiten Vers. „Maria aber (diese unvergessene Maria) war es, die den Herrn mit Salböl (egal wie teuer) gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte (nachdem sie sie mit Tränen der Liebe gewaschen hatte). Deren Bruder Lazarus war krank.“ Welche Beachtung findet diese Tat? Mit was für einer Lobrede wird hier in den höchsten Tönen darüber gesprochen? Und das sind die Ehren für alle Heiligen Gottes. Auch wenn all unsere guten Taten nicht aufgezeichnet sind wie bei Maria, ist Gott nicht so unaufmerksam, dass er unsere Werke des Glaubens und unsere Mühen, die aus Liebe entstanden sind, vergisst: Jede Träne, die wir vergießen, jeden Seufzer, den wir ausstoßen, jedes Almosen, das wir geben, und sei es auch nur ein Becher kaltes Wasser, 7Mt 10,42 sind alle im Gedenkbuch des Lammes aufgezeichnet und werden zu unserer ewigen Ehre hervorgebracht und mit einem Lohn der Gnade, wenn auch nicht aus Schuldigkeit, am großen und schrecklichen Tag des Herrn belohnt. „Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“ 8Mt 25,35-36 Was haben wir also dann für einen Grund „fest und unerschütterlich zu sein, immer in dem Werk des Herrn zuzunehmen, weil wir wissen, dass unsere Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn?“ 91Kor 15,58 Es war diese Maria, die den Herrn mit Öl salbte und seine Füße mit ihrem Haar abtrocknete. Und was folgt? „Deren Bruder Lazarus war krank.“ Dass die Verwandtschaft mit Christus oder mit seinen Jüngern die Menschen nicht von Krankheit befreit. Zeit und Geschick treffen sie alle 10Pred 9,11 in diesem Leben, nur mit diesem substantiellen Unterschied, dass jene Bedrängnisse, die das hartnäckig unbußfertige Herz verhärten, das Herz eines wahren Gläubigen weich machen und reinigen. „Mein Sohn, achte die Züchtigung des Herrn nicht gering und verzage nicht, wenn du von ihm zurechtgewiesen wirst. Denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er und geißelt jeden Sohn, den er als den seinigen annimmt.“  11Heb 12,5-6

   In Vers 5 heißt es: „Jesus liebte Martha und ihre Schwester und Lazarus.“ O glückliche Familie! In ihr gibt es drei von Jesus Geliebte, mit einer besonderen, ewigen Liebe. Sehr oft kommt es vor (um die Worte des frommen Bischofs Beveridge zu verwenden), dass es nur einen in einer Stadt und in einem Landstrich nur zwei von dieser Sorte gibt. Aber hier sind zwei Schwestern und ein Bruder, die alle den herrlichen Jesus lieben und von ihm geliebt werden. Was sollen wir zu diesen Dingen sagen?

   Nun, dass die Gnade unseres Erlösers großzügig und souverän ist und er mit seiner Gnade tun kann, was er will. Diejenigen, die auf diese Weise so begünstigt sind, dass sie so viele Bekehrte in einem Haus haben, sollten doppelt dankbar sein! Einen solchen Segen haben nicht alle seine Heiligen. Nein; viele, sehr viele trauern ihr ganzes Leben lang um ihre verderbten und gottlosen Verwandten; und finden sogar noch an ihrem Totenbett, dass ihre größten Feinde ihre eigenen Hausgenossen sind. 12Mt 10,36 Sicherlich lebten diese drei Verwandten wie im Himmel auf Erden. Denn was könnte denen fehlen, was könnte die unglücklich machen, denen die Liebe Jesu gewiss ist? Aber wenn Jesus diese liebe kleine Familie liebt, wäre die nächste Neuigkeit, die wir vielleicht hören sollten, sicherlich, dass er sofort hinging und Lazarus heilte; oder ihn zumindest aus der Ferne heilen würde. Stattdessen heißt es in Vers 6: „Als er nun hörte, dass er krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war.“ Für die natürliche Vernunft ist das eine seltsame Art und Weise, Liebe auszudrücken; aber nicht so seltsam in den Augen des Glaubens: Denn der Herr Jesus zeigt sehr oft seine Liebe, indem er es aufschiebt, unsere Gebete sofort zu beantworten. Hiermit stellt er unseren Glauben und unsere Geduld auf die Probe und trainiert alle unsere passiven Tugenden. Wir haben einen Beweis dafür bei der kanaanäischen Frau, die der gesegnete Jesus zunächst missbilligte und grob ansprach, nur um sich später an sie zu wenden und zu sagen: „Frau, dein Glaube ist groß.“ 13Mt 15,28 Diejenigen, die glauben, sollten also nicht zu ungeduldig sein; und sich auch nicht zu schnell im Herzen über den Herrn beklagen, weil er ihre Bitten möglicherweise nicht zu ihrer Zeit und auf ihre Weise beantwortet. Gottes Zeit und Methode sind am besten. Und letztendlich werden wir feststellen, dass das stimmt. Martha und Maria erfuhren diese Wahrheit, obwohl die scheinbare Verzögerung unseres Herrn, ihren Bruder zu heilen, sie zweifellos große Herzensprüfungen kostete. Aber wird der Herr Jesus seinen lieben Lazarus vergessen, den seine Seele liebt? „Kann eine Frau ihren Säugling vergessen?“ 14Jes 49,15 Tatsächlich kann sie das; aber der Herr lässt diejenigen niemals im Stich, die ihn fürchten. Er wird auch nicht lässiger bezüglich seinen Versprechen, wie manche es für Nachlässigkeit halten; denn selbst seine Verzögerungen sind Antworten. Denn die Vision gilt erst für die festgesetzte Zeit, und sie strebt auf das Ende hin und lügt nicht. 15Hab 2,3

   Obwohl unser Herr zwei Tage dort blieb, wo er war, um den Glauben dieser Schwestern auf die Probe zu stellen, sagte er danach zu seinen Jüngern in Vers 7: „Lasst uns wieder nach Judäa gehen.“ Mit welcher heiligen Vertrautheit unterhält sich Jesus mit seinen lieben Kindern! Unser Erlöser scheint zu seinen Jüngern zu sprechen, als ob er einfach nur ihr Bruder sei und sozusagen auf einer Ebene mit ihnen: „Lasst uns wieder nach Judäa gehen.“ Wie sanft führt er, nach dem, was von ihm vorhergesagt wurde, diejenigen, die mit ihm sind! Jesus kannte die Schwäche seiner Jünger sehr gut und wusste auch, was für ein gefährlicher Ort Judäa war. Wie er ihnen behutsam und schrittweise seine Absicht ankündigt, dorthin zu gehen! Und wie er es zulässt, dass seine Jünger diesbezüglich mit ihm diskutieren! „Rabbi“, sagen sie, „soeben erst haben die Juden dich steinigen wollen, und nun willst du wieder dorthin gehen?“ Sie staunten über die Kühnheit unseres Herrn und waren drauf und dran diese als Vermessenheit zu bezeichnen; so wie wir im Allgemeinen dazu neigen, andere eifrige und unternehmungslustige Personen zu tadeln und zu verurteilen, dass sie die Dinge zu weit treiben würden.    

   Und das mag aus keinem anderen Grund geschehen, wenn wir auf den Grund unseres Herzens blicken, als dass sie uns selbst vorausgehen und uns übertreffen. Die Jünger dachten zweifellos, dass sie aus Liebe zu ihrem Herrn sprachen, und das taten sie sicherlich auch; aber was für eine Menge Selbstliebe war darin mit hineingemischt?    

   Sie scheinen sich große Sorgen um ihren Meister zu machen, aber sie waren mehr um sich selbst besorgt. Jesus übersieht jedoch ihre Schwäche und antwortet milde in Vers 9 und 10: „Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist.“ Als hätte unser Herr gesagt: „Meine lieben Jünger, ich danke euch, dass ihr euch um mich sorgt. Judäa ist ein gefährlicher Ort, und was ihr über die Behandlung sagt, die mir von seinen Bewohnern widerfahren ist, ist richtig und wahr; aber habt keine Angst, meinetwegen dorthin zu gehen. Denn wie ein Mensch zwölf Stunden am Tag sicher umhergeht, weil er im Licht umhergeht, so werde ich, solange die von meinem Vater für meinen öffentlichen Dienst bestimmte Zeit währt, vor den Händen meiner Feinde ebenso sicher sein wie ein Mensch, der am helllichten Tag umhergeht, vor Stürzen sicher ist. Aber wie ein Mensch strauchelt, wenn er in der Nacht umhergeht, so werde ich, wenn die Nacht meiner Passion kommt, aber erst dann, in die Hände meiner boshaften Feinde ausgeliefert werden. Oh, welchen Trost haben diese Worte durch den Segen Gottes oft meiner Seele gebracht! Wie können sich alle Diener Christi durch die Überlegung stärken, dass sie unsterblich sind, solange Gott Arbeit für sie hat? Und wenn unser Herr uns nach Abschluss unserer Arbeit auffordern würde, unser Leben für die Brüder zu opfern und die Wahrheit unserer Lehre mit unserem Blut zu besiegeln, wäre das sicherlich die höchste Ehre, die uns zuteil werden kann. „Euch ist es geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden;“ 16Phil 1,29 sagt der Apostel den Philippern.

   Das sagt er und danach (um sie davon zu überzeugen, dass er nicht ohne einen entsprechenden Ruf nach Judäa ging) sagte er zu ihnen: „Lazarus, unser Freund schläft.“ Unser Freund. Erstaunlich! Denn was ist ein Freund? So wie die eigene Seele. Wie lieb und nah sind also wahre Gläubige dem überaus anbetungswürdigen Jesus! „Unser Freund Lazarus.“ Noch erstaunlicher! Hier sehen wir Herablassung, hier sehen wir in der Tat beispiellose Vertrautheit. Und was ist mit ihm? „Er schläft.“ Eine figurative Ausdrucksweise. Denn was ist der Tod für diejenigen, die Jesus Christus lieben, anderes als ein Schlaf, und sogar ein erfrischender? So heißt es von Stephanus, als er starb, er sei „entschlafen“. 17Apg 7,60 Christus ist tatsächlich gestorben, aber die Gläubigen schlafen nur. Und „Gott wird die Entschlafenen durch Jesus mit sich führen.“ 181Thes 4,14 „Unser Freund Lazarus schläft.“ Auch wenn er tot ist, werde ich ihn bald aus dem Grab erwecken, so dass sein Gestorbensein nur einem Menschen gleicht, der kurz schläft. „Unser Freund Lazarus schläft, aber ich gehe hin, um ihn aus dem Schlaf zu wecken.“ Man sollte meinen, dass die Jünger unseres Herrn ihn in der Zwischenzeit verstanden hätten. Aber wie unwillig sind wir, irgendetwas zu glauben, was uns nicht gefällt. „Da sprachen seine Jünger: Herr, wenn er schläft, so wird er gesund werden.“ Oh, ängstlich und schwerfällig im Herzen, um zu glauben! Wie gerne würden sie sich entschuldigen lassen, nach Judäa zu gehen, aus Angst vor ein paar Steinen! Wie klagen sie mit dieser Art des Sprechens tatsächlich das Verhalten ihres gesegneten Meisters an und fördern unter dem Vorwand, seine Person zu schützen, ihre eigene (wenn auch vielleicht unbewusste) Feigheit und ihren Unglauben und berufen sich sozusagen darauf? Die Nächstenliebe, die alles zum Besten hofft und glaubt, 191Kor 13,7 lehrt uns, so positiv über sie zu urteilen.

   „Jesus aber sprach von seinem Tode; sie meinten aber, er rede von der Ruhe des Schlafs.“ Der große und mitfühlende Hohepriester weiß und erinnert sich, dass sie nur Staub waren, und wirft einen Schleier der Liebe über ihre Gebrechlichkeit. Dann geht es weiter in Vers 14: „Da sagte ihnen Jesus (denn wenn wir auf Jesus warten, werden wir seinen Willen auf die eine oder andere Weise deutlich erkennen) frei heraus: Lazarus ist gestorben.“ Und damit sie nicht von allzu großer Trauer überwältigt werden, fügt er dann in Vers 15 sofort hinzu „und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht dort gewesen bin, damit ihr glaubt.“ Oder mehr Glauben habt oder dass der Glaube, den ihr bereits besitzt, sich verstärkt und bestätigt. Ein klarer Beweis dafür, dass alle Verzögerungen Jesu bei der Erhörung von Gebeten nur dazu dienen, unseren Glauben zu stärken.

    „Doch lasst uns zu ihm gehen!“ Das war ein ausreichender Hinweis darauf, dass er vorhatte, etwas Außergewöhnliches zu tun, obwohl er ihnen nicht direkt sagen würde, was er vorhatte. Denn der Herr Jesus wird diejenigen, die er liebt, zu seinen Füßen und abhängig von ihm behalten. „Lasst uns zu ihm gehen.“ Er spricht immer noch, als ob sie ihm ebenbürtig wären. Oh, dass Christen im Allgemeinen, Oh, dass Geistliche im Besonderen von ihm, ihrem großen Vorbild, lernen würden, sich gegenüber Männern von niedrigem Stand herabzulassen! Nun, das Geheimnis ist jetzt gelüftet. Jesus hat ihnen deutlich gesagt: Lazarus ist tot. Und wie wird diese traurige Nachricht aufgenommen? Mit großer Anteilnahme, besonders von Thomas; wir lesen Vers 16: „Da sprach Thomas, der Zwilling genannt wird, zu den Mitjüngern: Lasst uns auch hingehen, damit wir mit ihm sterben.“ Einigen zufolge soll das heißen mit Lazarus, mit dem Thomas möglicherweise eine enge Bekanntschaft geschlossen hatte. Aber angenommen, es war so; soll ich ihn für diesen leidenschaftlichen Ausdruck loben? Ich lobe ihn nicht. Sicherlich sprach er unbeabsichtigt mit seinen Lippen; „Lasst uns auch hingehen, damit wir mit ihm sterben.“ Als wäre von nun an kein Trost mehr auf der Welt zu erwarten, jetzt wo sein Freund Lazarus gestorben war. Das war ein großer Fehler, und doch ein Fehler, dem viele Kinder Gottes täglich begegnen, indem sie zu sehr um ihre verstorbenen Verwandten trauern, wie Menschen, die keine Hoffnung haben. Aber dieser Schwachheit sollte man nicht nachgeben. Denn wenn unsere Freunde und lieben Verwandten tot sind, ist Jesus, dieser Freund der Sünder, nicht tot. Er wird für uns besser sein als sieben Söhne und wird den Platz aller Geschöpfe in Hülle und Fülle ersetzen. Aber ich neige eher zu der Annahme, dass sich das Wort „mit ihm“ auf Jesus, seinen lieben Meister, bezieht; und wenn das so ist, dann ist er weit davon entfernt, beschuldigt zu werden, weil er wie ein guter Soldat Jesu Christi 202Tim 2,3 gesprochen hat. Lasst uns auch hingehen, damit wir mit ihm sterben. Wenn unser lieber Herr nach Judäa geht und sein kostbares Leben aufs Spiel setzt, lasst uns nicht länger solche faulen Ausreden vorbringen, sondern lasst uns ihn wie Männer begleiten; und wenn es den Juden erlaubt wäre, ihn nicht nur zu steinigen, sondern auch zu töten, dann lasst uns auch hingehen damit wir mit ihm sterben, wir können nicht für eine bessere Sache sterben. Das war eine Rede, die eines christlichen Helden würdig war, und Thomas hat uns hierin ein Beispiel gegeben, dass wir seinen Fußstapfen folgen sollten, indem wir uns gegenseitig dazu anregen und motivieren, dem gesegneten Jesus anzuhängen, besonders wenn seine Sache und sein Interesse sich in unmittelbarer Gefahr befinden. Diese Ermahnung hatte offenbar die richtige Wirkung. Sie gingen alle hin und begleiteten, soweit wir wissen, fröhlich ihren glorreichen Meister.

   Welche Gedanken sie unterwegs hegten, erfahren wir nicht. Aber ich neige dazu zu glauben, dass sie ein wenig entmutigt waren, als sie nach Bethanien kamen. Denn „Als nun Jesus hinkam, fand er ihn schon seit vier Tagen im Grabe liegen.“ Also was hatte es ihnen genützt, so viele Meilen zurückzulegen, nur um das Grab eines Toten zu sehen? Aber wie weise hat der selige Jesus alles angeordnet, um seine Herrlichkeit auf außerordentliche Weise zu offenbaren, damit nicht nur seine Jünger ihren Glauben bestätigten, sondern auch viele Juden an ihn glaubten. Dieses Bethanien, so heißt es in Vers 18, „war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt“; oder ungefähr zwei Meilen; und viele von den Juden waren zu Martha und Maria gekommen, nicht um einen müßigen, unbedeutenden, sondern einen ernsthaften, gewinnbringenden Besuch abzustatten, „um sie wegen ihres Bruders zu trösten.“ Das war freundlich und nachbarschaftlich. Mit den Weinenden zu weinen 21Röm 12,15 und die Bedrängten in ihrer Not zu besuchen, ist ein wesentliches Tätigkeitsfeld der wahren und unbefleckten Religion. Und oh wie süß ist es, wenn wir hinterbliebene Freunde besuchen, dass wir Grund zu der Annahme haben, dass ihre verstorbenen Verwandten im Herrn gestorben sind! Und deshalb können wir ihnen Trost spenden. Denn „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihren Mühen.“ 22Offb 14,13 Zweifellos bedienten sich diese Besucher dieser und ähnlicher Argumente, um Martha und Maria zu trösten. Und tatsächlich brauchten sie dringend Trost. Denn wir haben Grund zu der Annahme, dass sie wegen der Antwort unseres Herrn: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes“ mit der Genesung ihres Bruders gerechnet hatten. Aber wer kann sagen, was diese beiden heiligen Seelen fühlen mussten, als sie fanden, dass ihr Bruder nicht genesen war, sondern tot, aufgebahrt und nun stinkend im stillen Grab lag! Was für harte Gedanken hegten sie über Jesus? Wir können es vermuten, ohne sie zu verurteilen! Denkt ihr, dass sie bereit waren, in der Sprache des Propheten zu rufen: „Du hast mich betört, und ich habe mich betören lassen?“ 23Jer 20,7 Aber die Ausnahmesituation des Menschen ist die Gelegenheit von Jesus. 24“Man’s extremity is God’s opportunity.” John Flavel (1627-1691) Trotz der vielen Sorgen, die sie in ihren Herzen hatten, erfrischt die Nachricht vom Kommen Christi ihre Seelen. Irgendjemand informiert Martha im Vertraulichen darüber. „Als Martha nun hörte, dass Jesus kommt, ging sie ihm entgegen; Maria aber blieb im Haus sitzen.“ Aber warum, Maria? Ich dachte, du wärst am meisten darauf bedacht gewesen, Jesus zu folgen, und deine Schwester Martha wäre eher dazu geneigt, sich mit den vielen Dingen dieses Lebens zu belasten. Warum bleibst du sitzen? Es kann sein, dass Martha die Nachricht nur privat überbracht wurde (denn aus Vers 31 geht klar hervor, dass die Juden, die im Haus waren, nichts davon wussten); und Martha, die wusste, wie unser Herr sie einmal getadelt hatte, war vielleicht entschlossen, dass er keinen Grund mehr haben sollte, sie jemals wieder zu tadeln. Als die Nachricht überbracht wurde, wollte sie deshalb nicht einmal erst noch ihre Schwester informieren, sondern ging hinaus, um zu sehen, ob es wahr sei oder nicht, und wenn ja, würde sie als ältere Schwester den heiligen Jesus einladen. Wie glücklich ist es, wenn die Zurechtweisungen Christi für vergangene Versäumnisse unseren zukünftigen Eifer wecken, herauszukommen und ihm entgegenzugehen? Solche Zurechtweisungen sind ein ausgezeichnetes Öl. Oder es kann sein, dass die Nachricht sowohl Maria als auch Martha zu Ohren kam, aber da sie von Kummer überwältigt war, war der Gedanke zu schön, um wahr zu sein, und deshalb blieb sie im Haus sitzen. O wie sorgfältig sollten Gläubige darin sein, selbst inmitten der Drangsal ein heiliges Vertrauen und eine heilige Freude an Gott zu hegen und zu bewahren! Denn die Freude am HERRN ist die Stärke eines Gläubigen. 25Neh 8,10 Aber der Melancholie und dem Unglauben Raum zu geben, schafft Trübsinn und Nebel im Geist, verdüstert das Verständnis, hindert uns daran, unsere Pflicht zu erfüllen, und verschafft dem Feind, der es liebt, in unruhigen Gewässern zu fischen, einen sehr großen Vorteil uns gegenüber.

   Vielleicht war auch das der Grund dafür, dass Maria wegen einer solchen Veranlagung „im Haus sitzen blieb“, während ihre Schwester Martha sich von ihr losriss und hinausging, um Jesus entgegenzugehen. Und wie spricht sie ihn an? In einer Sprache, die von der Not eines belasteten und ungeordneten Geistes zeugt. Denn sie sagte zu Jesus in Vers 21: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Hier haben wir eine Mischung aus Glauben und Unglauben. Der Glaube ließ sie sagen: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Aber ihr Unglaube führte dazu, dass sie die Macht Christi auf seine körperliche Anwesenheit beschränkte. Außerdem wurde hier dem heiligen Jesus unterschwellig Lieblosigkeit vorgeworfen, weil er nicht gekommen war, als sie ihm die Botschaft sandten: „Herr, der, den du liebst, ist krank.“ Einmal hatte sie Jesus mangelnde Fürsorge vorgeworfen; „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat, um zu dienen?26Lk 10,40 Jetzt unterstellt sie ihm Mangel an Freundlichkeit. „Wenn du hier gewesen wärst;“ so viel wie zu sagen, wenn du so freundlich gewesen wärst, zu kommen, als wir nach dir schickten: „Mein Bruder wäre nicht gestorben.“ und indem sie das sagt, lastet sie sozusagen den Tod ihres Bruders Jesus Christus an. O wie neigen sogar diejenigen, die Jesus auf besondere Weise liebt, dazu, ihm törichte Vorwürfe zu machen! Wie oft erhebt sich die Feindschaft unserer verzweifelt bösen Herzen gegen Christus, wenn wir unter der schmerzlichen Hand seiner Vorsehung stehen! Und geraten nicht auch die Allerbesten unter uns unter solchen Umständen oft in Versuchung, sich zumindest selbst zu fragen: Warum geht Gott so grausam mit uns um? Warum hielt er diesen Schlag nicht zurück, da es in seiner Macht stand, ihn zu verhindern? Wie sollten wir deswegen vor ihm beschämt und elend sein? Wie sollten wir beten und uns darum bemühen, von dieser verbleibenden Feindschaft des Herzens befreit zu werden, und uns nach der Zeit sehnen, wenn das Sterbliche verschlungen wird vom Leben 272Kor 5,4 und wir niemals wieder eine einzige Aufregung des Herzens gegen einen guten, gnädigen, all-weisen und herrlichen Erlöser spüren werden? Um aber Martha gerecht zu werden, sie reißt sich doch ziemlich gut zusammen; Vers 22: „Doch auch jetzt weiß ich: Was immer du von Gott erbitten wirst, das wird Gott dir geben.“ Ob diese Worte einen tatsächlichen Glauben an die Göttlichkeit unseres Herrn beinhalten, ist nicht sicher. Für mich tun sie es; denn wir werden bald feststellen, dass sie glaubte, unser Herr sei der Sohn Gottes und der Messias, der in die Welt kommen sollte. Als sie daher sagte, dass sie weiß, dass Gott ihm alles geben würde, was auch immer er von Gott verlangte, kann sie so verstanden werden, dass sie sich auf Gott, den Vater bezog, unter dem der Herr Jesus als Mittler fungierte, obwohl ihm gleichgestellt in Bezug auf seine ewige Herrlichkeit und Göttlichkeit. Wir können davon ausgehen, dass sie mit diesem Geheimnis vertraut war, da Jesus häufig in ihrem Haus gepredigt hatte und ihr daher dieses Geheimnis offenbart hatte. O was für ein Segen muss es sein, einen solchen Mittler zu haben! Solch ein Hohepriester und Fürsprecher zur Rechten des Vaters, dass er uns alles geben wird, worum er den Vater für uns bittet! Jesus nimmt dies freundlich aus Marthas Hand und geht über ihre Schwachheit hinweg. Denn wenn der Herr genau darauf achten würde, was wir falsch sagen oder tun, ach! Wer könnte standhalten? 28Nah 1,6 Er sagt in Vers 23 nur ruhig zu ihr: „Dein Bruder wird auferstehen.“

   Frohe Botschaft von großer Freude. 29Lk 2,10 Das soll uns Trost für unsere verstorbenen frommen Verwandten geben, dass sie in Kürze wieder auferstehen und Seele und Körper für immer beim Herrn sein werden. Allerdings sprach Jesus hier von einer unmittelbaren Auferstehung, obwohl er es nicht klar ausdrückte: Denn Christus liebt es, den Glauben und die Geduld seiner Jünger zu üben, und überlässt es ihnen häufig, schrittweise herauszufinden, was er meint. In unserem gegenwärtigen Zustand ist es das Beste für uns, dass es so ist. Im Himmel wird es anders sein. „Dein Bruder (sagt Christus zu Martha) wird auferstehen.“ Sie hätte sofort antworten können: Wann, Herr? Aber sie bemüht sich jetzt, die Gedanken Jesu schrittweise herauszufinden. „Ich weiß“, sagt sie, „dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag.“ Diese Worte scheinen anzudeuten, dass sie eine leise Vorahnung von der Absicht unseres Herrn hatte, ihren Bruder jetzt aufzuwecken, und dass sie das nur sagte, um unseren Erlöser zum Reden zu bewegen, damit er ihr deutlich sagte, ob er das vorhatte oder nicht. Diejenigen, die mit Jesus vertraut sind, werden durch den gesegneten Geist in einer heiligen Kunst im Umgang mit ihrem gesegneten Meister gelehrt. „Ich weiß“, sagt sie, „dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag.“ (Übrigens ein bemerkenswerter Beweis dafür, dass die frommen Juden an die Auferstehung des Körpers glaubten). Es ist genauso, als hätte sie gesagt: „Herr, meinst du, dass mein Bruder vor dieser Zeit auferstehen wird?“ Unser Erlöser verzichtet klugerweise darauf, ihr eine direkte Antwort zu geben, sondern entscheidet sich lieber dafür, zu ihrem Herzen zu predigen. „Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist.“ Daran sollte Marthas Glaube sich festhalten, wenn sie ihn ausüben würde. O herrliche Worte! Wie ermutigend für euch arme Sünder, die ihr daliegt in eurem Blut! 30Hes 16,6 Obwohl ihr tot seid durch eure Übertretungen und Sünden 31Eph 2,1 und mit Recht dazu verurteilt werden würdet, den zweiten Tod 32Offb 20,14 zu sterben, werdet ihr doch leben, wenn ihr an den Herrn Jesus glaubt. Er fügt hinzu: „und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ In Ewigkeit nicht sterben, damit ist die Seele gemeint; in Ewigkeit nicht sterben und konsequenterweise in Ewigkeit niemals von Gott abfallen. Das ist eine ermutigende, tröstende Deklaration für euch, ihr Gläubigen, die ihr sozusagen in einer Garnison bewahrt werdet aus Gottes Macht durch den Glauben zur Seligkeit! 331Petr 1,5 „Glaubst du das?“ sagt Christus zu Martha in Vers 26. Was nützen all die vielen großen und kostbaren Verheißungen des Evangeliums, solange sie nicht auf jede einzelne unserer Seelen ganz persönlich angewendet werden und uns ganz persönlich klar werden? Das Wort nützt nichts, wenn es nicht mit dem Glauben vermischt wird. Deshalb tun wir gut daran, uns diese Frage zu stellen, wenn wir die Worte Christi lesen. O meine Seele, glaubst du das? Und es würde uns gut bekommen, wenn wir, wenn wir uns diese Frage stellen, mit derselben heiligen Zuversicht wie Martha in Vers 27 sagen könnten: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ Ich denke, dass dies ein direktes Bekenntnis zur Göttlichkeit unseres Herrn ist. Wie voll war ihr Herz, als sie diese Worte sprach! Ich bin überzeugt, dass es in ihr brannte. Was für eine göttliche Wärme hatte sie durch das Gespräch mit Jesus gewonnen! Wie sehnt sie sich danach, dass ihre Schwester an ihrer heiligen Freude teilhaben möchte! Denn als sie das gesagt hatte, lesen wir in Vers 28, „ging sie weg“; voller Liebe, kein Zweifel, und rief Maria ihre Schwester, so wie alle sich bemühen werden, ihre nahen Verwandten zu rufen, die selbst gemerkt haben, dass der Herr Jesus die Auferstehung und das Leben ist. Aber Martha achtete trotz ihres Eifers darauf, sich mit Klugheit zu verhalten (wie wir es immer tun sollten); und deshalb „rief sie heimlich ihre Schwester und sprach: Der Meister ist da und ruft dich.“                         Der Meister ist da. Mehr braucht sie nicht zu sagen; Maria wusste sehr gut, wen sie meinte. Denn heilige Seelen verstehen einander leicht, wenn sie von ihrem Meister Jesus sprechen. Der Theologe George Herbert pflegte (wenn er von Jesus sprach) mit Freude zu sagen: „Mein Meister.“ Vielleicht übernahm er das von Martha, die hier sagte: „Der Meister ist da und ruft dich.“ Bestimmt wird eine Frau von deiner erhabenen Frömmigkeit nicht absichtlich lügen; und um deine Schwester dazu zu bringen, zu Jesus zu kommen, zu ihr sagen, dass Jesus sie gerufen hat, obwohl er es in Wirklichkeit gar nicht getan hat. Du müsstest nicht dieses Risiko eingehen und Böses tun, damit Gutes dabei herauskommt. Erwähne gegenüber Maria nur Jesus und lasse sie mit Gewissheit wissen, dass der Meister tatsächlich gekommen ist, und ich bin überzeugt, dass sie nicht länger sitzenbleiben wird. Martha wusste das zweifellos, und deshalb kann ich sie nicht so verurteilen, wie manche es tun, als ob sie in ihrer Eile etwas gesagt hätte, was nicht wahr war. Denn Jesus könnte sie gebeten haben, ihre Schwester zu rufen, obwohl das in diesem Kapitel nicht direkt erwähnt wird. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass unser Herr sich nach Maria erkundigte, weil es ihr große Freude bereitet hatte, zu seinen Füßen zu sitzen und die gnädigen Worte zu hören, die aus seinem Mund kamen. „Der Meister ist da (sagt Martha zu ihrer Schwester) und ruft dich.“ Und das sage ich zu allen armen Sündern. Jesus, dein Herr und Meister, dein Fürst und Erlöser, ist gekommen, gekommen in diese untere Welt, und ist heute in seinem Wort und durch mich gekommen, dem allergeringsten unter allen seinen Dienern, 34Eph 3,8 und ruft dich. O, dass er auch in der Überzeugungskraft des Geistes komme und durch seine mächtige Kraft eure verstockten Herzen und euren Willen beugt, um dem Ruf zu gehorchen, so wie die heilige Maria es dann getan tat.

   Denn in Vers 29 heißt es: „Als sie das hörte, stand sie schnell auf und kam zu Jesus.“ Sünder, wann werdet ihr das tun? Oder warum tut ihr das nicht? Woher wisst ihr, ob Jesus noch einmal nach euch rufen wird, bevor er euch durch den Tod zum Gericht ruft? O haltet euch nicht länger auf. Rasch, eilt, eilt um euer Leben. 351Sam 20,38 Steht schnell auf und kommt mit Maria zu Jesus. Sie folgte dem Ruf so schnell, dass ihre Besucher ihre Eile bemerkten. „Als nun die Juden, die bei ihr im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass Maria so schnell (ohne jede Zeremonie) aufstand und hinausging, folgten sie ihr nach und sprachen: Sie geht zum Grab, um dort zu weinen.“ Wie weise ließ unser Herr das alles zu und ordnete es an, um den Juden das wunderbare Wunder vor Augen zu führen, das er vollbringen wollte! Maria und die Juden konnten sich kaum vorstellen, zu welchem Zweck sie auf diese Weise von der Vorsehung herausgeführt wurden. Aber wenn Jesus eine Arbeit zu erledigen hat, wird er die Seelen an den Ort bringen, wohin er sie rufen will, trotz Menschen oder Teufeln. Doch wie verhält sich Maria, als sie zu Jesus kommt? Wir können sicher sein, nicht ohne große Demut. Kein Wunder also, dass uns in Vers 32 gesagt wird: „als sie ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen (an einen Ort, an den Maria gewöhnt war) und sprach zu ihm (in großer Trauer, wie es ihre Schwester vor ihr getan hatte): Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Arme Maria! Ihre Sorge war in der Tat groß. Obwohl sie eine heilige Frau war, konnte sie den Verlust ihres Bruders kaum ertragen. Sie wusste sehr gut, dass die Welt ihn vermissen würde, und zweifellos war er ein freundlicher und zärtlicher Bruder für sie gewesen. Aber ich fürchte, sie wurde auf sündhafte Weise von allzu großer Trauer überwältigt. Wären wir jedoch dort gewesen, hätte uns der Anblick wohl beeindruckt. Es scheint die Besucher beeindruckt zu haben, insbesondere den gesegneten Jesus.

  Anstatt sie zu beschuldigen, dass sie ihn stillschweigend anklagte, er sei unfreundlich und ihrem Bruder nicht zu Hilfe gekommen, hat er Sympathie und Mitleid mit Maria und ihren weinenden Freunden!

„Als nun Jesus sah, wie sie weinte, und wie die Juden, die mit ihr gekommen waren, weinten, seufzte er im Geist und wurde bewegt.“ Bewegt: Wir können sicher sein, nicht mit irgendeiner sündigen Unruhe. Nichts derartiges könnte in seiner sündlosen Seele sein. Und deshalb haben einige vernünftigerweise die Not, die unser Herr jetzt empfand, mit etwas kristallklarem Wasser verglichen, das in einem Glas oder einer Flasche geschüttelt wurde; ihr könnt es schütteln, aber es wird kein Sediment zurückbleiben: Es wird immer noch kristallklares Wasser sein. „Er seufzte im Geist.“ Warum sollte das nicht verstanden werden als sein Beten im Geist, der für die Heiligen Fürbitte leistet, mit „Unaussprechlichem Seufzen“ (Röm. 8,26) Ich stelle mir vor wie ich das unbefleckte Lamm Gottes heimlich, aber kraftvoll mit seinem Vater mitleiden sehe; sein Herz ist groß vor Mitgefühl! Schließlich sagte er aus der Fülle seines Herzens in Vers 34: „Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie (ich nehme an, Maria und Martha) sprachen zu ihm: „Herr, komm und sieh.“ Er kam und sah und dann: „Er weinte“ in Vers 35. Es ist in einem eigenen Vers eingefügt, damit wir eine Weile innehalten und fragen können: Warum weinte Jesus?

   Er weinte, um uns zu zeigen, dass es keine Sünde ist, am Grab eines verstorbenen Freundes eine Träne der Liebe und der Resignation zu vergießen; er weinte. Also seht, was für ein Chaos die Sünde in der Welt angerichtet hat und wie sie den Menschen, der ursprünglich nur ein wenig niedriger war als die Engel,  36Heb 2,7 (indem sie ihn dem Tod unterwarf) auf ein Niveau reduzierte mit dem Vieh, das umkommt: 37Ps 49,13 Aber vor allem weinte er über die Aussicht auf den Unglauben des Volkes; er weinte, als er daran dachte, wie viele der damals Anwesenden nicht nur nicht an ihn glauben würden, sondern sogar noch verhärten würden und ihre Vorurteile gegen ihn immer stärker werden würden, obwohl er Lazarus vor ihren Augen von den Toten auferwecken würde. Nun mögen die Prediger entschuldigt sein, die während ihrer Predigt hin und wieder ein paar Tränen vergießen, beim Gedanken daran, dass ihre Predigten aufgrund der Verdrehtheit und des Unglaubens vieler ihrer Zuhörer einen Geruch des Todes zum Tode ausstrahlen anstatt einen Geruch des Lebens zum Leben. 382Kor 2,16 Also hier weinte Jesus. Was für ein ergreifender Anblick! Stellen wir uns für eine Weile vor, wir befänden uns inmitten dieser heiligen Trauernden; stellen wir uns vor, wir würden direkt vor uns das Grab und die Juden sehen, Maria und den gesegneten Jesus, der weint. Sicherlich müsste selbst der Abgebrühteste unter uns allen eine Träne vergießen oder zumindest von dem Anblick berührt werden; wir stellen fest, dass es diejenigen betraf, die wirklich dabei waren: Denn dann sagten die Juden, Vers. 36: „Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt.“ Und haben sie gesagt: „Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt”, als Jesus nur ein paar Tränen über dem Grab seines verstorbenen Lazarus vergoss? Kommt dann, ihr Sünder, und betrachtet Christus, wie er stirbt und sein kostbares Herzblut für euch an einem verfluchten Holz vergießt, und dann müsst ihr sicherlich ausrufen: Siehe, wie lieb hat er uns gehabt!

   Aber leider, obwohl zwar alle davon betroffen waren, Jesus weinen zu sehen, waren anscheinend nicht alle gut davon betroffen. Denn uns wird in Vers 37 gesagt: „Einige aber unter ihnen sprachen: Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste?“ Man könnte sich vorstellen, dass Satan selbst kaum eine perversere Rede hätte halten können: Jedes Wort ist voller Bosheit und Groll. Hätte dieser Mann, dieser Kerl, dieser Betrüger, der vorgibt zu sagen, er habe den Blinden die Augen geöffnet, nicht dafür sorgen können, dass dieser Mann, den er so sehr zu lieben scheint, nicht gestorben wäre? Ist das nicht ein ausreichender Beweis dafür, dass er ein Betrüger ist? Haben wir ihn endlich erwischt? Ist es wahrscheinlich, dass er anderen wirklich geholfen hat, obwohl er seinem eigenen Freund nicht helfen konnte? – O wie geduldig sollten die Diener unseres Herrn sein! Und wie können sie damit rechnen, getadelt zu werden und dass ihre guten Taten in Frage gestellt und geschmälert werden, wenn ihr gesegneter Meister vor ihnen so behandelt wurde! Jesus wird jedoch Gutes tun, ungeachtet all dieser Beleidigungen, denen er ausgesetzt ist; und deshalb „kam er, indem er wieder bei sich selbst seufzte, zum Grab; es war aber eine Höhle (oder ein Gewölbe, wie es in großen Familien üblich war) und ein Stein lag darauf. Jesus sagte: (Vers 39) „Hebt den Stein weg.“ Wie schrittweise geht unser Herr vor, um die Aufmerksamkeit des Volkes noch mehr zu fesseln! Ich stelle mir vor, wie sie alle gespannt darauf warten, den Ausgang dieser Angelegenheit zu erfahren. Aber Martha, die jetzt mit dem Rest der Gesellschaft zurückkehrt, scheint die gute Stimmung verloren zu haben, in der sie sich befand, als sie ihre Schwester rufen ging; „Sie spricht zu ihm: (Vers 39) Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen.“ O die düsteren Auswirkungen der fleischlichen Vernunft! Wie natürlich verfallen wir in Zweifel und Ängste, wenn wir unseren Blick nicht einfach auf den gesegneten Jesus gerichtet halten! Anstatt zu ihm aufzublicken, blickt Martha hinab in das Grab, und beim Nachdenken über den stinkenden Leichnam ihres Bruders gerät sie in einen Anfall von Unglauben: „Er stinkt schon.“ Und deshalb wird sein Anblick nur abstoßend sein. Vielleicht dachte sie, dass unser Herr nur einen Blick auf ihren Bruder Lazarus werfen wollte. Um ihr noch einen weiteren Hinweis zu geben, dass er vorhatte, etwas Außerordentliches zu tun, spricht Jesus zu ihr in Vers 40: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ Unser Herr spricht hier mit einer gewissen Wärme: Denn nichts missfällt ihm mehr als der Unglaube seiner eigenen Jünger. „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ Wann Christus diese Worte zum ersten Mal zu ihr sprach, erfahren wir nicht; es könnte sein, dass es vor einiger Zeit bei einer anderen Gelegenheit Teil ihres Gesprächs war; doch jetzt prüft er sie offen auf ihren Unglauben. Denn diejenigen, die Jesus liebt, müssen damit rechnen, von ihm scharf zurechtgewiesen zu werden, wann immer sie ihn durch Unglauben entehren. Die Rüge wird angenommen.

   Ohne weitere Einwände zu erheben, „hoben sie den Stein weg, wo der Verstorbene lag.“ Und nun seht, mit welcher Feierlichkeit sich der heilige Jesus darauf vorbereitet, seinen gnädigen Plan auszuführen! „Jesus aber hob die Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich aber weiß, dass du mich allezeit erhörst; doch um der umstehenden Menge willen habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.“ Wer könnte ausdrücken, mit welcher Inbrunst und Intensität des Geistes unser glorreicher Hohepriester diese Worte sprach! Sie sind eine Danksagung, die aus der Gewissheit entsteht, dass sein Vater ihn erhört hat: Denn Christus war als Mittler dem Vater untergeordnet. „Ich aber weiß, dass du mich allezeit erhörst (und das sollte jeder Gläubige sagen); doch um der umstehenden Menge willen habe ich es gesagt.“ Was gesagt? Wir hören nicht, dass Jesus vorher irgendetwas in Form eines Gebets gesagt hätte; und das stimmt, wenn wir es akustisch meinen, aber im Geiste sagte er etwas, auch als er im Geiste mehr als einmal seufzte und erschüttert war. Es gibt eine Art zu beten, auch wenn wir nicht sprechen und es auch nicht können. „Was schreist du zu mir?“ 392Mo 14,15 sagte Gott zu Mose. Obwohl wir nicht hören, dass er ein einziges Wort gesprochen hat, aber er schrie in seinem Herzen. Und ich beobachte dies zum Trost einiger schwacher, aber echter Christen, die denken, sie würden nie beten, wenn nicht ein großer Wortschwall dabei herauskommt; aber das ist ein großer Fehler: Denn oft beten wir am besten, wenn wir am wenigsten sprechen können. Es gibt Zeiten, in denen das Herz zu groß ist, um zu sprechen: und der Geist selbst tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will, mit unaussprechlichen Seufzern. 40Röm 8,26.27 So lautete Hannahs Gebet für einen Sohn: „Ihre Stimme hörte man nicht, nur ihre Lippen bewegten sich.“ 411Sam 1,13 Und so betete unser Herr zu dieser Zeit. Und vielleicht ist die Seele nie in einem besseren Zustand, als wenn sie sich in heiliger Stille und unaussprechlicher Gelassenheit wie ein Rohling in die Hand Jesu legen kann, damit er ihr genau das aufdrücken kann, was ihm gefällt.

   Und nun ist die Stunde gekommen, in der unser Erlöser dieses lang erwartete Wunder vollbringen wird. Vers 43: „Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!“ Mit dem Wort ging eine unwiderstehliche Macht einher: Er sprach, und es geschah: Er rief, und siehe: „Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch.“ Was war das für ein Anblick! Ich glaube, ich sehe die Überraschung auf dem Gesicht jedes Zuschauers: Als der Körper aufsteht, steht auch ihr Staunen auf. Schaut, wie sie glotzen! Schaut, wie ihr Aussehen die Sprache erstaunter Herzen verrät; und das alles mit einer Art stillem, aber ausdrucksvollem Reden, bereit zu sagen: Was ist das für ein Mensch? Sicherlich ist das der Messias, der in die Welt kommen sollte. Wie haben die Herzen von Martha und Maria, wie wir wohl vermuten können, vor Freude gehüpft! Wie schämten sie sich, weil sie Jesus töricht beschuldigt und ihm Unfreundlichkeit vorgeworfen hatten, weil er nicht gekommen war, um den Tod ihres Bruders zu verhindern! Es ist wahr, Christus hat ihn sterben lassen, aber siehe, jetzt lebt er wieder! Jesus verweigert uns nie etwas, sondern er möchte uns stattdessen etwas Besseres geben. Glaubt ihr nicht, dass Martha und Maria nicht die eifrigsten waren, diesem Befehl unseres gesegneten Herrn zu gehorchen? „Löst die Binden und lasst ihn gehen!“ Dieselbe Macht, die Lazarus von den Toten auferweckte, hätte ihm auch die Grabtücher abnehmen können: Aber Jesus Christus hat nie ein unnötiges Wunder gewirkt und wird es auch nie tun. Andere konnten seine Grabtücher lösen, aber Jesus konnte die Fesseln des Todes lösen.

   Und jetzt fragen sich vielleicht einige: Welche Neuigkeiten hat Lazarus aus der anderen Welt mitgebracht? Aber hör auf, oh Mensch, mit deiner eitlen Neugier! Es ist verboten und daher nutzloses Wissen. Die heiligen Schriften schweigen darüber. Warum sollten wir den Wunsch haben, über das hinauszugehen, was geschrieben steht? 421Kor 4,6 Es bekommt uns besser, uns ganz darauf zu konzentrieren, die gnädige Hand dieses mächtigen Erlösers anzubeten, der ihn von den Toten auferweckt hat, und zu sehen (nachdem wir jetzt die Geschichte gehört haben), welche Verbesserung wir selbst von einer so bemerkenswerten und lehrreichen Transaktion erfahren können.

   Möchte Gott, dass meine Predigt über die Auferstehung des Lazarus heute die gleichen segensreichen Auswirkungen auf euch haben möge, wie es ihr Anblick auf einige der Umstehenden hatte. Denn uns wird gesagt in Vers 45: „Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus getan hatte, glaubten an ihn.“ Ein gewinnbringender Besuch! Zweifellos der Beste, den sie je in ihrem Leben gemacht hatten. Und es war eine Antwort auf das Gebet unseres Erlösers: „Aber wegen des Volkes, das dabeisteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.“ Man könnte meinen, dass alle, die dieses Wunder sahen, dadurch wirklich dazu gebracht wurden, an ihn zu glauben: Aber leider! Ich könnte fast sagen, dass ich euch von einem noch größeren Wunder erzählen kann, als Lazarus von den Toten auferstehen zu lassen. Und was ist das? Einige dieser Personen, die vor Ort waren, gingen, anstatt an ihn zu glauben, „zu den Pharisäern und berichteten ihnen, was Jesus getan hatte.“ (Vers 46) Es war so weit davon entfernt, sie zu überzeugen, dass es nur ihren Neid erregte, die ganze Hölle ihrer selbstgerechten Herzen aufrührte und sie von diesem Tag an dazu veranlasste, „einen Rat zu versammeln“, um das auszuführen, was sie lange schon geplant hatten, den unschuldigen Jesus zu töten. Schaut, wie beschäftigt sie sind, Vers 47: „Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer einen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.“ Der Neid selbst, so scheint es, konnte das nicht leugnen. Und müssten sie sagen: „Was tun wir“ oder was sollen wir machen? Ganz klar, an ihn glauben und sich ihm unterwerfen; das Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfolgen. Nein; das Gegenteil, sie sagen, Vers 48: „Lassen wir ihn gewähren, (was sie nicht so lange getan hätten, wenn Gott dem Leviathan nicht die Backen mit einem Haken durchbohrt hätte 43Hi 40,26) dann werden sie alle an ihn glauben.“ Und angenommen, sie täten es? Dann wären tatsächlich alle Menschen gesegnet und hätten Anspruch auf wahres Glück. Nein, sagen sie, „dann kommen die Römer und nehmen uns die Stätte und die Nation weg.“ Aber waren die Römer nicht schon da? Waren sie zu dieser Zeit nicht Cäsar tributpflichtig? Aber sie fürchteten sowohl für die Religion als auch für die Nation: „Sie werden kommen und unsere Stätte, unseren Ort der Anbetung, wegnehmen“, und daher betrachteten sie Jesus Christus und seine Handlungen und Anhänger als gefährlich sowohl für die Religion als auch für die Nation.

   Das war immer die Methode der Pharisäer und Hohepriester, wenn sie gegen den Herrn Jesus und seine lieben Gesalbten einen Rat versammelten. Aber sie hätten sich deswegen nicht zu fürchten brauchen, denn das Reich unseres Erlösers war nicht und ist nicht von dieser Welt; 44Joh 18,36 und der einzige Weg, ihre Stätte und ihre Nation zu bewahren, wäre gewesen, alle dazu zu ermutigen und mit allem, was in ihrer Macht stand, dazu zu bringen, an Jesus zu glauben. Wie miserabel haben sie in ihrer Politik versagt! Der Tod Jesu, von dem sie glaubten, dass er sie retten würde, war die Hauptursache für die völlige Zerstörung sowohl ihrer Stätte als auch ihrer Nation: Und so wird jede Politik, die gegen Christus und sein Evangelium geführt wird, letztendlich in der Vernichtung derer enden, die sie ausgeheckt haben.

   O die verzweifelte Bosheit und der Verrat des betrügerischen Herzens des Menschen! Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt, 451Kor 1,20 die täglich eine Wiederholung von Wundern fordern, um die Wahrheit der christlichen Religion zu bestätigen und zu beweisen? Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, so würden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer aus den Toten auferstände! 46Lk 16,31 Hier wurde jemand vor vielen Zeugen von den Toten auferweckt, und doch glaubten keineswegs alle diese Zeugen an Jesus. Denn der göttliche Glaube wird nicht durch moralische Überredung im Herzen geweckt (obwohl moralische Überredung sehr oft als Mittel genutzt wird, um ihn zu vermitteln); der Glaube ist die besondere Gabe Gottes: 47Eph 2,8 Niemand kann zu Jesus kommen, es sei denn, der Vater ziehe ihn. 48Joh 6,44 Und deshalb, damit ich zum Ende dieses Diskurses komme, möchte ich alle mit einem Wort der Ermahnung zum Schweigen bringen.

   Kommt, ihr toten, christuslosen, unbekehrten Sünder, kommt und seht den Ort, an dem sie den Leichnam des verstorbenen Lazarus beigesetzt haben. Siehe, er liegt aufgebahrt, an Händen und Füßen mit Grabtüchern gebunden, eingesperrt und stinkend in einer dunklen Höhle, mit einem großen Stein obendrauf gelegt! Seht ihn euch immer wieder an; geht näher zu ihm; habt keine Angst. Riecht ihn, ah! Wie er stinkt. Bleibt jetzt stehen und haltet eine Weile inne. Und während du den Leichnam des Lazarus betrachtest, erlaube mir, dir mit großer Deutlichkeit, aber noch größerer Liebe zu sagen, dass dieser tote, gebundene, begrabene, stinkende Kadaver nur eine schwache Darstellung deiner armen Seele in ihrem natürlichen Zustand ist: Denn ob du es glaubst oder nicht, dein Geist, den du mit dir herumträgst, begraben in Fleisch und Blut, ist im wahrsten Sinne des Wortes für Gott so tot und wirklich so tot in seinen Übertretungen und Sünden, 49Eph 2,1 wie es der Körper des Lazarus in der Höhle war. War er mit Grabtüchern an Händen und Füßen gebunden? So bist du mit deiner Verdorbenheit an Händen und Füßen gebunden, und wie ein Stein auf das Grab gelegt wurde, so liegt ein Stein des Unglaubens auf deinem dummen Herzen. Vielleicht hast du nicht nur vier Tage, sondern viele Jahre in diesem Zustand gelegen und in Gottes Nasenlöcher gestunken. Und was noch ergreifender ist: Du bist ebenso unfähig, dich aus diesem abscheulichen, toten Zustand zu einem Leben in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit zu erheben, wie Lazarus es war, sich selbst aus der Höhle aufzuerwecken, in der er so lange lag. Du kannst die Macht deines eigenen gepriesenen freien Willens und die Kraft und Energie moralischer Überzeugung und rationaler Argumente (die zweifellos ihren richtigen Platz in der Religion haben) auf die Probe stellen; aber all deine Bemühungen, auch mit noch so viel Kraft unternommen, werden sich als völlig fruchtlos und erfolglos erweisen, bis derselbe Jesus, der sagte: „Hebt den Stein weg“ und rief: „Lazarus, komm heraus“, mit der gewaltigen Macht seiner Stärke 50Eph 1,19 kommt, den Stein des Unglaubens entfernt, zu deiner toten Seele Leben spricht, dich von den Fesseln deiner Sünden und Verderbtheiten befreit und es dir durch den Einfluss seines gesegneten Geistes ermöglicht, aufzustehen und auf dem Weg seiner heiligen Gebote zu wandeln. Und oh, dass er jetzt die Himmel zerreißen und unter euch herabkommen würde! 51Jes 64,1 Oh, dass es sich heute unter den verdorrten Gebeinen regen 52Hes 37,7 möge! Oh dass, während ich spreche und sage: „Tote Sünder, kommt hervor“, eine Macht, eine allmächtige Kraft das Wort begleiten und euch in neues Leben eintreten lassen könnte!

   Wenn der Herr mir eine solche Barmherzigkeit gewähren würde, und nur eine einzige Seele in dieser großen Gemeinde aufstehen und den Staub ihresnatürlichenZustands von sich abschütteln würde; 53Jes 52,2 es wäre meinem Herzen gerade ganz egal, ob das Predigen dieser Predigt hier auf den Feldern eine Gelegenheit wäre, meinen Tod zu beschleunigen, so wie die Auferweckung von Lazarus den Tod meines gesegneten Meisters beschleunigte. Denn ich denke, der Tod ist in mancher Hinsicht erträglicher, als Tag für Tag arme Sünder begraben liegen zu sehen, tot und stinkend in Sünde. Oh, wenn ihr nur sehen würdet, wie abscheulich ihr in den Augen Gottes seid, solange ihr in eurem natürlichen Zustand verharrt! Ich glaube, ihr würdet eure Ketten nicht so zufrieden umarmen und euch weigern, freigelassen zu werden.

   Mir scheint, ich sehe einige von euch von diesem Teil meines Vortrags betroffen. Was sagt ihr? Gibt es da nicht einige, die bereit sind, sich zu beklagen? Ach, wir haben einige Verwandte, die so notorisch böse sind, dass sie nicht nur ihre Ketten umarmen, sondern auch die Sünde verspotten und nicht nur in den Augen Gottes, sondern auch der Menschen stinken. Liebe Seelen! Ihr seid bereit, dies als Grund dafür anzuführen, warum Jesus sie nicht erwecken wird; und denkt, dass es hart ist, wenn Jesus nicht als Antwort auf eure wiederholten Seufzer und Gebete kommt, um sie zu bekehren und zu retten. Aber was Jesus zu Martha sagte, das sage ich zu euch: „Glaubt, und ihr werdet die Herrlichkeit Gottes sehen.“ Denkt nicht, es sei ein Ding der Unmöglichkeit, dass Gott ihre toten Seelen auferstehen lässt. Denkt nicht hart von Jesus, weil er die Antwort auf eure Gebete hinauszögert; lasst euch vergewissern, dass er euch immer erhört. Und wer weiß, aber vielleicht wird Jesus an diesem Tag die Herzen einiger eurer lieben Verwandten besuchen, um die ihr Geburtswehen gelitten habt, bis Christus in ihnen Gestalt gewinnt? 54Gal 4,19 Ihr habt bereits mit Martha und Maria mitgefühlt in ihren Zweifeln und Ängsten; wer weiß, aber ihr könntet auch noch Teilhaber an der Freude werden, die ihre Seelen erlebten, als sie ihren auferstandenen Bruder in ihre sehnsüchtigen Arme aufnahmen.

   O ihr christuslosen Seelen, ihr wisst nicht, welchen Kummer euer Weitermachen in der Sünde euren frommen Verwandten bereitet! Ihr wisst nicht, wie sehr ihr das Herz Jesu betrübt. Ich flehe euch an: Gebt ihm keinen neuen Anlass, wegen eures Unglaubens über euch zu weinen. Lasst ihn nicht noch einmal in seinem Geist seufzen und beunruhigt sein. Seht, wie er euch geliebt hat, sogar so sehr, dass er sein Leben für euch hingegeben hat. 551Joh 3,16 Was könnte er mehr tun? Ich bitte euch deshalb, tote Sünder, kommt heraus; steht auf und speist zusammen mit Jesus. Das war eine Ehre, die Lazarus zuteil wurde, und die gleiche Ehre erwartet euch. Nicht, dass ihr in diesem Leben persönlich mit ihm zusammensitzen werdet, wie Lazarus es tat, sondern ihr sollt mit ihm an der Tafel seiner Verordnungen sitzen, ganz besonders an der Tafel des Abendmahls, und schon bald werdet ihr mit ihm im Königreich der Himmel zusammensitzen.

   Glücklich, dreimal glücklich, ihr, die ihr bereits aus dem geistlichen Tod auferstanden seid und die Hoffnung auf eine unendlich bessere und herrlichere Auferstehung in euren Herzen habt. Ihr wisst es ein wenig, wie herrlich es für Martha, Maria und Lazarus gewesen sein muss, hier unten mit dem gesegneten Jesus zusammenzusitzen. Aber wie unendlich entzückender wird es sein, nicht nur mit Maria und Martha, sondern auch mit Abraham, Isaak und Jakob 56Mt 8,11 und all euren anderen lieben Brüdern und Schwestern im Himmelreich zu sitzen. Sehnt ihr euch nicht nach der Zeit, wenn Jesus zu euch sagen wird: „Komm herauf“?  57Offb 4,1 Also! Gepriesen sei Gott, noch eine kleine Weile, 58Heb 10,37 und derselbe Jesus, der mit lauter Stimme rief: „Lazarus, komm heraus!“ wird mit derselben Stimme und mit derselben Kraft zu allen sprechen, die in ihren Gräbern liegen, und sie werden herauskommen. Dass alle, die mich heute hören, dann ihre Häupter erheben und sich freuen können, dass der Tag ihrer völligen Erlösung tatsächlich gekommen ist, das möge Jesus Christus um seiner unendlichen Barmherzigkeit willen gewähren. Amen und Amen.

Fussnoten

  • 1
    Heb 1,3
  • 2
    1Mo 1,31
  • 3
    Joh 1,14
  • 4
    Mt 11,5
  • 5
    Lk 8,55
  • 6
    Lk 7,15
  • 7
    Mt 10,42
  • 8
    Mt 25,35-36
  • 9
    1Kor 15,58
  • 10
    Pred 9,11
  • 11
    Heb 12,5-6
  • 12
    Mt 10,36
  • 13
    Mt 15,28
  • 14
    Jes 49,15
  • 15
    Hab 2,3
  • 16
    Phil 1,29
  • 17
    Apg 7,60
  • 18
    1Thes 4,14
  • 19
    1Kor 13,7
  • 20
    2Tim 2,3
  • 21
    Röm 12,15
  • 22
    Offb 14,13
  • 23
    Jer 20,7
  • 24
    “Man’s extremity is God’s opportunity.” John Flavel (1627-1691)
  • 25
    Neh 8,10
  • 26
    Lk 10,40
  • 27
    2Kor 5,4
  • 28
    Nah 1,6
  • 29
    Lk 2,10
  • 30
    Hes 16,6
  • 31
    Eph 2,1
  • 32
    Offb 20,14
  • 33
    1Petr 1,5
  • 34
    Eph 3,8
  • 35
    1Sam 20,38
  • 36
    Heb 2,7
  • 37
    Ps 49,13
  • 38
    2Kor 2,16
  • 39
    2Mo 14,15
  • 40
    Röm 8,26.27
  • 41
    1Sam 1,13
  • 42
    1Kor 4,6
  • 43
    Hi 40,26
  • 44
    Joh 18,36
  • 45
    1Kor 1,20
  • 46
    Lk 16,31
  • 47
    Eph 2,8
  • 48
    Joh 6,44
  • 49
    Eph 2,1
  • 50
    Eph 1,19
  • 51
    Jes 64,1
  • 52
    Hes 37,7
  • 53
    Jes 52,2
  • 54
    Gal 4,19
  • 55
    1Joh 3,16
  • 56
    Mt 8,11
  • 57
    Offb 4,1
  • 58
    Heb 10,37